Salzburger Lokerln
Es griffe zu kurz würde man diesen Thread darauf beschränken zu sagen, er lebe vom "Was wäre, wenn?" Dies natürlich auch; doch berührt er auch Grauzonen in denen er versucht, an vermutlich Gewesenes visuell möglichst nahe heranzukommen - erinnert sei nur an die C 5/6 im wahrscheinlichen Kleide der SNCF. Eine solche kleine Grenzwanderung möchte ich auch heute unternehmen.
Wir beginnen mit einer ganz einfachen Fragestellung: Wie hätten wohl Maschinen der Baureihe 03 ausgesehen, welche nach den Wirren des Zweiten Weltkrieges auf österreichischem Boden verblieben wären?
Der Konjunktiv führt in die Irre. Den mindestens eine 03 ist tatsächlich auf österreichischem Staatsgebiet verblieben und hat dort auch unter der Regie der am 20. Juli 1945 neugegründeten Generaldirektion der österreichischen Staatseisenbahnen Dienst getan: Es ist die 03 113 des Bw Schneidemühl, die am 13.03.1945 in Landeck ankam. Vom 14.10. bis 20.11. tat sie in Innsbruck Dienst, unterbrochen von zwei Intermezzi (04. - 06.11. sowie 10. - 12.11.1945), die sie nach Landeck verschlugen. Ab 24.01.1946 tat sie in Bregenz Dienst; für den 24.10.1947 ist sie wiederum in Landeck kalt abgestellt nachgewiesen. Tags darauf (!), also am 25.10.1947, ist sie - ebenfalls kalt - in Linz (Donau) gemeldet. Ihre Aufarbeitung war vorgesehen, unterblieb aber. Am 09.12.1952 übergab die ÖBB die Lok an die Deutsche Bundesbahn, die die Maschine am 27.09.1966 ausmusterte.
Mit ziemlicher Sicherheit war die 03 113 auf österreichischen Gleisen - wenngleich bei ihr das Eigentumsmerkmal "B.B. Österreich" fotografisch belegt ist (bei Zell/ Sammlung Griebl) - in ihrem alten rot-schwarzen Reichsbahn-Farbkleid unterwegs. Ab wann der neue Standardanstrich mit schwarzem Lokkörper, schwarzen Radsternen, roten Griffen und rot ausgelegten Stangen - wie er allseits bekannt und beispielsweise hier zu sehen ist - eingeführt wurde entzieht sich meiner Kenntnis. Aber wäre die 03 113 in Österreich aufgearbeitet worden dann wahrscheinlich in dem Kleide, das uns von vielen ÖBB-52ern und -42ern her bestens bekannt ist - und hätte dann wohl so ausgesehen:
Retusche nach einem Originalfoto mit freundlicher Genehmigung der Fa. Fleischmann/ Modelleisenbahn Holding GmbH
Übrigens: Bis zum Ende der Ära der Dampflokomotiven in Österreich gab es 52er wie 93er mit roten wie auch schwarzen Radkörpern. Die Systematik dahinter - sprich: wann eine Lokomotive rote und wann sie schwarze Räder bekam - hat sich mir bis heute nicht erschlossen. AW-Eigenmächtigkeiten? Was sagen die Experten?
Auch bei einer zweiten Loktype drängt sich geradezu die Frage auf, warum kein Exemplar dieser Baureihe nach 1945 in der Alpenrepublik verblieb: Der 03.10. Dabei gibt es der Gründe gleich mehrere, warum man den Stromlinien-Dreischläger in den B.B.Ö.- Bestandslisten vermuten dürfte:
Zunächst ist festzuhalten, dass nicht weniger als 17 Maschinen dieser Baureihe (03 1053 - 1056, 1080 - 1092) in gleich zwei Reichsbahndirektionen (RBD Wien vom 28.08.1940 - 28.10.1940, RBD Linz 24.09.1940 - 28.10.1942) im Einsatz gewesen waren. Allerdings mit bescheidenem Erfolg: Sicherlich fuhr das BW Linz mit Nürnberg - Wien den längsten Durchlauf der Reichsbahn, und das mit Zügen zwischen 530 und 600t Gewicht. Doch der berühmte Abspanner einer 03.10-Doppelbespannung vor einem "Führersonderzug" im Wienerwald ist legendär und hat auch mehrfach Eingang in die eisenbahnhistorische Literatur gefunden (u.a. bei Knipping/ Hütter/ Wenzel: Lokomotiven "Heim ins Reich"; EK-Verlag Freiburg 2009, S. 335). Was folgte war das Ersuchen des Bw Linz vom 06.06.1942 die prestigeträchtigen Paraderenner durch eine Loktype polnischer Konstruktion, die Pt 31, ersetzen zu dürfen, da diese "...nicht so stark verschlacke und somit Verspätungen wegen Dampfmangels vermieden werden könnten" (zit. n. van Kampen/ Wenzel: Die Baureihe 03.10. EK-Verlag, Freiburg 1978, S. 90). Das RVM erhörte die Linzer Worte und setzte die Mehrzahl der Drillinge in die RBD Posen um; anschließend sollen wohl einige Köpfe gerollt sein...
Somit befand sich keine 03.10 mehr bei Kriegsende auf österreichischem Territorium. Und doch: Als gegen Kriegsende die Ostfront immer näher rückte, versuchte man soviel Rollmaterial wie möglich vor der heranrückenden Roten Armee in Sicherheit zu bringen und nach Westen abzufahren. Viele diese "Abfahrzüge" hatten oft abenteuerliche Laufwege; schlesische Elektrolokomotiven z.B. hat man nachweislich über Polaun und die Zahnradstrecke Tannwald (Tanvald) - Grünthal (Korenov) abgefahren. Nicht wenige dieser Fahrten, deren Ziel Süddeutschland war, führten über - damalige Terminologie - böhmisch-mährisch-ostmärkisches Gebiet, doch nicht alle erreichten ihr Ziel. Was erklärt, warum sich manche Lok polnischer Provenienz - geographisch wie konstruktiv gemeint - 1945 in der Alpenrepublik wiederfand. So sind z.B. PKP-Loks der Baureihen Pd4 , Pd13 und selbst die berühmte Pm36-2 nach 1945 in Österreich bildlich belegt, sodass ein Verbleib schlesischer 03.10 bei der B.B.Österreich als gar nicht so unwahrscheinlich erscheint. Die Breslauer 03 1013 und 1049 hatten es ja auch gerade mal bis Lenggries geschafft...
Damit sind zwei von drei Optionen, die einen Verbleib der S36.18 in der Alpenrepublik denkbar erscheinen ließen, vom Tisch. Aber es gibt noch eine dritte: Den Lokomotivausgleich über den Alliierten Kontrollrat. Dieser hatte beispielsweise 1945 die E 18 42 (von der wir noch hören werden) und die beschädigt zurückgebliebene E 18 046 als Ausgleich für die verlorene E 18 206 den Österreichische Staatseisenbahnen zugesprochen. Warum hätte da nicht auch eine 03.10 als Entschädigungslok über den Inn wandern können.?
Gut. Wir wissen, dass alles das nicht stattgefunden hat. In unserem Paralleluniversum schon.
Ob vom Kriegsende in der RBD Linz "überrascht", ob als Abfuhrlok in der Alpenrepublik zurückgeblieben oder derselben als Entschädigungsleistung zugesprochen - einerlei. Wie hätten sie aussehen können, die "03.10" (mit Punkt zwischen Baureihe und Ordnungsnummer) der B.B.Österreich?
Genau an dieser Stelle sei der Gedankengang zurückgeführt zu den einleitenden Worten. Bevor wir die Frage aufwerfen wie die 03.10 hätte aussehen können soll doch erst einmal die Frage beantwortet sein, wie der Stromliniendrilling ausgesehen hat.
Denn Märklin bringt seit einem annährend halben Jahrhundert das Kunststück fertig, ein 3094-Derivat nach dem anderen auf den Markt zu werfen - und nicht eines davon trägt bislang das Kleid, das durch Farbdia als das richtige belegt ist. So hätte die 3094 aussehen müssen: Ohne die völlig vorbildbefreiten Flügelräder und mit rotem unteren Zierstreifen, der durch einen darunterliegenden dünneren roten Absetzstreifen noch betont wird:
Retusche nach einem Originalfoto mit freundlicher Genehmigung der Gebr. Märklin & Cie GmbH
Zur Diskussion über die Farbgebung der 03.10 - die ich im Übrigen als abgeschlossen erachte - empfehle ich im Übrigen diesen Thread. Nebenbei bemerkt stelle ich mir bis heute angesichts der Märklin-3094 die Frage, wie die armen Preiser-Personale die vorbildwidrig geknickten Führerhaustüren hätten aufbekommen wollen. Nach innen garantiert nicht...
Nun, stellen wir uns vor, die Breslauer 03 1013 und 03 1049 hätte es bei Kriegsende nicht nach Bayern, sondern - sagen wir - ins Waldviertel verschlagen. In Österreich hätte man sicher nichts besseres zu tun gehabt als eine einsatzgebietlose Splittergattung mit Innentriebwerk und Stromlinienverkleidung aufzuarbeiten. Sei's drum. Hätte man es doch getan, wäre die BBÖ-03.10 optisch relativ leidenschaftslos dahergekommen: Lokkörper schwarzer, Radsterne schwarz, Griffstangen rot und Treibstangen rot ausgelegt. Lediglich das Belassen der Zierleisten verhindert eine völlige phänotypische Pottwalisierung.
Retusche nach einem Originalfoto mit freundlicher Genehmigung der Gebr. Märklin & Cie GmbH
Allerdings experimentierte die noch junge ÖBB, erst am 05. 08.1947 aus den "ÖstB" hervorgegangen, Anfang der 50er Jahre mit unterschiedlichen Grüntonkombinationen. Insbesondere die E18 42 ist durch das berühmte Märklin-Modell 39681 einem größeren Kreis von Eisenbahnfreunden bekannt geworden. Es zeigt eine Lokomotive mit optisch zweigeteiltem Lokkörper, dessen obere Hälfte in hellem Resedagrün gehalten ist, während die untere ein dunkles Tannengrün aufzeigt, wohingegen die Partie unterhalb des Umlaufes wiederum hellgrün gehalten ist. Übertragen auf "unsere" 03.10 ergibt das doch eine ganz werbewirksame Maschine, oder nicht? Die roten Schilder und das provisorische "BBÖ"-Emblem, beides von der 1020.47 inspiriert, tun ein Übriges...
Retusche nach einem Originalfoto mit freundlicher Genehmigung der Gebr. Märklin & Cie GmbH
Natürlich wäre die 03.10 bei der ÖBB gaaaanz lange in Dienst gestanden. Warum denn nicht? "Dampfende" bei den Regelspurdampfloks der ÖBB war schließlich erst am 31.12.1976, und bei der DR fuhr die 03.10 sogar bis zum 31.08.1980! So hätte unsere ÖBB-03.10 sogar noch die Ära Jaffa erlebt, die bereits 1960 mit der 2067.11 begonnen hatte. Und das ungeliebte Märklin-Phantasie-Flügelrad hätte in Form des ÖBB-Logos in aller Berechtigung seine Rückkehr feiern können...
Retusche nach einem Originalfoto mit freundlicher Genehmigung der Gebr. Märklin & Cie GmbH
So Jungs, und nu' seid nicht so. Eine Jaffa-52er hat uns die Tante in Göppingen mit der 34155 schließlich auch schon beschert...!
*ganzschnellduckundwech*!!!
Grüße!
Christian
simmuts und Paul60 haben sich bedankt!